Hinweis: Der Blog-Artikel erschien ursprünglich am 28.01.2021 und schilderte die Datenlage zu diesem Zeitpunkt. Er wurde am 12.03.2021 nach Vorliegen der vollständigen Jahreszahlen aktualisiert.
Hinführung und statistische Basis
Im Jahr 2020 wurden viele Bürger, aber auch Teile der Fachöffentlichkeit erstmals mit dem Begriff der Übersterblichkeit konfrontiert. Der in der Demographie / Bevölkerungswissenschaft und Medizin gleichermaßen etablierte Begriff beschreibt eine Maßzahl (Sterbefälle), die anzeigt, ob die Zahl der Todesfälle (in einem gewissen Zeitraum) höher lag / liegt, als es bei einem Blick in die Vergangenheit unter Zuhilfenahme von Durchschnittswerten eines zu definierenden Zeitraum zu erwarten gewesen wäre. Kurzum: man vergleicht die Todesfallzahlen eines Zeitraums mit einem anderen (in der Vergangenheit liegenden) Zeitraum bzw. dessen Durchschnittswerten und berechnet die Abweichung. Liegt der aktuelle Wert über dem der Vergangenheit, liegt eine Übersterblichkeit vor. Diese kann absolut (in 100 oder 1.000) oder in Prozent (xyz % über dem Mittel der Jahre 20xy bis 20zw) angegeben werden.
Für die Berechnung der Übersterblichkeit in einem Teilgebiet (in unserem Fall: Stadt Chemnitz) benötigt man Sterbefallzahlen der näheren Vergangenheit und die Todesfallzahlen des Jahres 2020.
Folgende Sterbefallzahlen verzeichnete die Stadt Chemnitz seit 2010:
- 2019: 3.522 Sterbefälle
- 2018: 3.473 Sterbefälle
- 2017: 3.462 Sterbefälle
- 2016: 3.277 Sterbefälle
- 2015: 3.391 Sterbefälle
- 2014: 3.253 Sterbefälle
- 2013: 3.368 Sterbefälle
- 2012: 3.204 Sterbefälle
- 2011: 3.236 Sterbefälle
- 2010: 3.175 Sterbefälle
Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre (2010-2019) starben in Chemnitz pro Jahr 3.336 Menschen. In den letzten fünf Jahren (2015-2019) verstarben durchschnittlich 3.425 Personen. Die steigenden Todesfallzahlen in den letzten Jahren sind u. a. eine Folge der sich verschiebenden Altersstruktur - die Zahl der Hochaltrigen ab 80 Jahren ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.
Für die Berechnung der Übersterblichkeit in Chemnitz 2020 greift die Analyse auf den Zeitraum 2015-2019 zurück. Rechnerisch lässt sich folgendes sagen: durchschnittlich starben in Chemnitz in diesem Zeitraum
- pro Jahr 3.425 Personen (Zeitraum: 5 Jahre)
- pro Monat 285 Personen (Zeitraum: 60 Monate)
- pro Tag 9,4 Personen (Zeitraum: 1825 Tage)
Das Argument, dass im November bzw. Dezember tendenziell mehr Menschen sterben als in anderen Monaten, muss dabei berücksichtigt werden, erweist sich aber nach Prüfung der Datenlage als statistisch vernachlässigbar. In den Jahren 2016-2019 (keine Monatszahlen für 2015 vorliegend) lag die durchschnittliche Todesfallzahl in Chemnitz im November bei 275 und im Dezember bei 304 und damit insgesamt (beide Monate) nur minimal höher als im Monatsmittel des kompletten Jahres.
Befund 4: Sterbefallzahl in Chemnitz des Jahres 2020 höchste seit 1989
Die Monate November und Dezember (zusammen betrachtet) und vor allem der Dezember (einzeln betrachtet) dürften die Einzelmonate mit den meisten Sterbefällen in Chemnitz / Karl Marx-Stadt seit
mehreren Jahrzehnten gewesen sein. Die Stadt Chemnitz bzw. Karl-Marx-Stadt hat seit 1950 immer weniger als 5.000 Tote im Gesamtjahr registriert (das wären monatsdurchschnittlich 410 bis 420). Der
Monat mit den meisten Sterbefällen in der nahen Vergangenheit war der März 2018 - damals starben im Zuge der Grippewelle 385 Chemnitzer. Im Februar 2017 verstarben 372 Personen. Im Kalenderjahr
2019 lag die monatliche Sterbefallzahl niemals höher als 323 (März 2019).
- 1960: 4.202 Sterbefälle bei 286.329 Einwohnern, je Monat im Durchschnitt 350 Todesfälle
- 1965: 4.416 Sterbefälle bei 295.160 Einwohnern; 368
- 1970: 4.745 Sterbefälle bei 299.312 Einwohnern; 395
- 1975: 4.582 Sterbefälle bei 305.113 Einwohnern; 382
- 1980: 4.748 Sterbefälle bei 317.644 Einwohnern; 396
- 1985: 4.440 Sterbefälle bei 315.452 Einwohnern; 370
- 1990: 3.899 Sterbefälle bei 294.244 Einwohnern; 325
- 1995: 3.440 Sterbefälle bei 265.583 Einwohnern; 287
- 2000: 3.134 Sterbefälle bei 256.922 Einwohnern; 261
- 2005: 2.930 Sterbefälle bei 244.999 Einwohnern; 244
- 2010: 3.175 Sterbefälle bei 240.767 Einwohnern; 265
- Dezember 2020: 636 Sterbefälle bei 245.051 Einwohnern
Vergleich der Chemnitz-Befunde mit sachsenweiten Ergebnissen
Das Statistische Landesamt des Freistaates Sachsen hat am 21.01.2020 in einer Pressemitteilung vorläufige Sterbefallzahlen für Gesamtsachsen in allen Monaten des Jahres 2019 und 2020 veröffentlicht. Demnach starben 2020 knapp 62.000 Menschen, während 2019 knapp 55.000 Sterbefälle registriert wurden (+12,5 % im Vergleich zu 2019 – würde man in Chemnitz die Sterbefallzahl von 2019 um 12,5 % erhöhen, würde sich für das Jahr 2020 übrigens ein Wert von ca. 3.960 ergeben; das scheint in Anbetracht der oben beschriebenen Daten aber zu hoch). Wie in Chemnitz bereits dargestellt, zeigen sich auch in Gesamtsachsen mehr oder weniger ausschließlich in den Monaten November 2020 (ca. 6.150 Sterbefälle) und Dezember 2020 (ca. 9700 Sterbefälle) auffällige Ausschläge. In den 22 Monaten zuvor kreisten die monatlichen Sterbefallzahlen immer im Korridor von 4.150 (September 2019 / Juni 2020) bis maximal 5.050 (Januar 2020). Im Vergleich der Monate November 2020 zu November 2019 errechnete das Statistische Landesamt ca. 36 % mehr Todesfälle; der Vergleich der beiden Dezember (2019/2020) zeigt sogar eine Steigerung von 96 %. Hierbei ist wichtig zu beachten, dass nur die Jahre 2019 und 2020 verglichen wurden. Hätte man die Werte von 2016 bis 2019 mit denen von 2020 verglichen, wären die prozentualen Steigerungen noch größer gewesen (da der 2019er Wert über denen der Jahre 2016 bis 2018 liegt).
Fazit und Zusammenfassung
Die Übersterblichkeit des Gesamtjahres 2020 in Chemnitz betrug im Kontext der Vergleichsjahre 2015-2019 14 bis 15 %. Während die Übersterblichkeit im Zeitraum Januar bis Oktober bei ca. 1 % lag, so lag sie im November und Dezember 2020 bei 84 % (beide Monate zusammen), im Dezember bei 123 %. Die absolute Zahl der Todesfälle des Jahres 2020 in Chemnitz war die höchste seit 1989. Mit 16,0 Verstorbenen pro 1.000 Einwohnern im Jahr 2020 wurde die höchste Todesrate seit den frühen 1970er Jahren in Chemnitz / Karl-Marx-Stadt registriert. Ein Abgleich der Befunde von Chemnitz mit denen aus Gesamtsachsen zeigt eine vergleichbare Entwicklung. Das Statistische Landesamt spricht in seiner Pressemitteilung von der "höchsten Sterbezahl in Sachsen seit mehr als 40 Jahren" (bezogen auf den Dezember), schließt aber mit dem Hinweis: "Seit 1980 sind die Angaben im Statistischen Landesamt elektronisch verfügbar. In diesem Zeitraum wurde noch nie eine höhere Zahl an Sterbefällen in einem Monat verzeichnet." Das dürfte den Befund bestätigen, dass die Zahl der Dezember-Sterbefälle in Chemnitz die höchste seit mindestens fünf Jahrzehnten (wenn nicht sogar länger) gewesen ist.
Quellen:
- Statistisches Jahrbuch der Stadt Chemnitz 2017/2018
- Statistische Quartalsberichte der Stadt Chemnitz
- Ratsanfrage ProChemnitz - Antwort der Stadtverwaltung vom 23.11.2020
- Pressemitteilung der Stadt Chemnitz v. 12.01.2021
- chemnitz.de - Zahlen und Fakten der Stadt Chemnitz, abgerufen am 28.01.2021
- Pressemitteilung des Statistischen Landesamtes vom 21.01.2021
- Freie Presse Chemnitz vom 10.03.2021